Soziale Arbeit 4.0

Schlagwort: Teilhabe

Digitale Barrierefreiheit in der Arbeitswelt – Teilhabe 4.0

Die Teilhabe am Arbeitsleben ist ein grundlegendes Recht, das Menschen mit Beeinträchtigungen ermöglichen soll, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. Doch was, wenn für die Ausübung einer Tätigkeit spezielle Hilfsmittel benötigt werden? Diese können den Unterschied zwischen Teilhabe und Ausschluss aus dem Arbeitsleben bedeuten. Laut Umfrage des IWD sehen 70 Prozent der Menschen mit Beeinträchtigung in der Digitalisierung eine Chance für den Arbeitsmarkt.

Tatsächlich kann digitale Technik viel dazu beitragen, die Nachteile einer Behinderung am Arbeitsplatz zu kompensieren. Barrierefreie Software, Kommunikationswege und Informationen steigern die Beschäftigungschancen gerade für Menschen mit eingeschränktem Hör- oder Sehvermögen.

Unter anderem durch den Einsatz von Datenbrillen und anderen Tools entstehen zunehmend mehr Möglichkeiten zur Teilhabe. Ganz unabhängig einer zusätzliche Assistenzkraft. Nachfolgend werden einige Tools und Projekte beschreiben und verlinkt. Wie immer gilt den Einsatz solcher Hilfsmittel intelligent zu gestalten.

Datenbrillen

Eine intelligente Datenbrille kann, durch das Einblenden von Informationen ins Sichtfeld des Nutzenden, Arbeitsabläufe unterstützen. Sie helfen gehörlosen Mitarbeitende in der Logistik über das sogenannte Pick-by-Vision-Prinzip: Die Brille ist über Bluetooth mit einem Handscanner verbunden und erhält via WLAN Informationen zu neuen Aufträgen. Das Display zeigt dann eindeutige Informationen in Form von Piktogrammen an. So werden Missverständnisse vermieden, die dadurch entstehen, dass sich die Grammatik der Lautsprache und die der Gebärdensprache unterscheiden. Die Piktogramme sind zudem von allen Mitarbeitenden zu verstehen.

Solche Brillen können aber auch Menschen mit autistischen Störungen unterstützen. Sie können Probleme mit ungewohnten Situationen oder mit Effekten haben, die sie als störend empfinden. Die Form der Trigger ist dabei sehr individuell, es kann eine bestimmte Farbe, ein Geräusch wie die Klimaanlage oder etwas anderes sein. Eine entsprechende Brille in Kombination mit einem Headset könnten so angewendet werden, dass sie unerwünschte Effekte für die Person ausfiltern oder ausgleichen, so dass die Betroffenen nicht mehr getriggert werden. Sie würden dann ihre Umgebung vollständig wahrnehmen, nur dass die Elemente verschwinden, durch die sie getriggert werden.

Cobots – kollaborative Roboter

Der Einsatz von Cobots kann Menschen mit Beeinträchtigungen durch angepasste Arbeitsprozesse bessere Chancen für Inklusion, Bildung und Teilhabe eröffnen. Zu den Anwendungsbereichen der Cobots gehören die Durchführung von Qualitätskontrollen direkt am Montage-Arbeitsplatz ebenso, wie die automatisierte Bearbeitung von Produktionsspitzen. Damit sollen im Rahmen der Kooperation Systeme entwickelt werden, die auch Menschen mit Behinderungen oder Menschen ohne sprachliches Ausdrucksvermögen in die Lage versetzen, komplexe Arbeitsaufträge selbstständig umzusetzen. Der kollaborative Roboter fördert dabei die persönliche Entwicklung und das Kompetenzerleben der Mitarbeitenden dadurch, dass er die eigenständige Ausführung komplexer Arbeitsschritte ermöglicht.

Die Zusammenarbeit mit Robotern ändert Aufgaben und Rollen der menschlichen Beschäftigten und kann eine neue psychische Belastung bedeuten. Das kann sich sowohl in Unter- als auch Überforderung äußern. Mit Hilfe einer Smartwatch werden schon heute verschiedene physiologische Daten erhoben, die auf die mentale und physische Belastung hinweisen: Cobots können daraufhin das Verhalten so anpassen, dass sich der Mensch wieder wohler fühlt.

Das europäische Forschungsprojekt MindBot erweitert diesen Ansatz auch auf Möglichkeiten, Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Kondition besser in eine Arbeitswelt integrieren zu können. Folgende Aspekte sind Zielsetzung des Projektes

  1. eine Definition organisatorischer Richtlinien für die Cobot unterstützte Gestaltung einer Produktionsumgebung, die die psychische Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fördert.
  2. Die Entwicklung technischer Merkmale für die Gestaltung eines solchen Cobots und die Realisierung des MindBotPrototyps.
  3. Die Definition eines Beschäftigungsmodells für Menschen, bei denen eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert wurde und die in kleinen und mittleren Produktionsunternehmen arbeiten, welche Cobots einsetzen.

KI-unterstützte Emotionserkennung

Emotionen begleiten uns stets durch den Alltag. Fehlerhafte Wahrnehmung von Emotionen führen schnell zu Barrieren in der Alltagsbewältigung. Auch hier kann KI mittels Mustererkennung in Sprache, Tonlage und Mimik helfen Emotionen zu erkennen. Auf diese Weise können Menschen unterstützt werden, die aufgrund kognitiver und psychischer Beeinträchtigungen Herausforderungen in kommunikativen und sozialen Situationen haben. Diese Situationen finden sich im Arbeitsleben an verschiedenen Stellen wieder. Beispielsweise bei Prüfungssituationen in der Ausbildung und Vorstellungsgesprächen für Arbeitsplätze über Teammeetings und Feedbackgespräche bis hin zu verschiedenen Kundenkontakten. Gerade auch bedingt durch KI-basierte Automatisierung und Übernahme von standardisierbaren Tätigkeiten werden dabei kommunikative Aufgaben und Kompetenzen in Zukunft oftmals eine noch größere Rolle einnehmen als bisher.

Die Entwicklung eines empathische Trainingsbegleiter für den Bewerbungsprozess (EmpaT) ist dabei ein Projekt, dem u.a. das deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH Saarbrücken nachgegangen ist.

Das Projekt erlaubt es die sozialen Fähigkeiten in einer virtuellen Lernumgebung zu trainieren. Dabei werdet Techniken zur Erkennung, Modellierung und Generierung von verbalen und nichtverbalen Verhaltensweisen genutzt, um Bewerbungs- und andere Dialogsituationen mit virtuellen Avataren zu simulieren. Ziel ist es, Personen auf emotional schwierige Situationen vorzubereiten, die häufig mit starken negativen Emotionen wie Nervosität oder Ängstlichkeit behaftet sind. Die virtuelle Umgebung von EmpaT bietet den Vorteil, dass sich mit ihr viele denkbare Situationen nachstellen und für Trainingszwecke beliebig oft reproduzieren lassen. Die Evaluation des Projektes ergab, dass der Einsatz des Empat-Trainings die Angst vor Bewerbungsgesprächen reduzieren ließ. Dabei wurden die Teilnehmenden mit einer Kontrollgruppe verglichen, die sich mit klassischen Methoden wie Video und Textinformationen auf das Bewerbungsgespräch vorbereitet hatten.

Audioassistenten

Die OrCam MyEye ist ein Vorlesegerät, dass mithilfe von künstlicher Intelligenz in weniger als einer Sekunde Text erfasst und ihn diesen Text vorliest. Dies ermöglicht es Menschen mit Sehbeeinträchtigungen wieder eigenständig Texte zu lesen und Objekte zu erfassen. Mit nur einem Knopfdruck können Nutzende den Vorlesevorgang starten und den Text in ihrer Umgebung erkunden. Im Arbeitsleben kann das Gerät zum Beispiel für die Teilnahme an Besprechungen, für die Akteneinsicht oder für den Weg zur Arbeit hilfreich sein. Die Kamera erfasst kontinuierlich den Sehraum vor der nutzenden Person in natürlicher Blickrichtung. Sobald die Person mit dem Finger auf einen bestimmten Text, Artikel oder Absatz im Blickfeld zeigt oder alternativ an der Basiseinheit einen Schalter betätigt, wandelt das Gerät die visuellen Informationen in Audioinformationen um, die über den Ohrhörer ausgegeben werden.

Unterstützung von gehörlosen und schwerhörigen Menschen

Für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen stehen schon einige Tools zur Verfügung. Neben Apps fürs Smartphone kommen auch in diesem Bereich bereits Datenbrillen zum Einsatz. Mittels augmented reality  können Personen mit diesen intelligenten Brillen an Echtzeit-Diskussionen teilnehmen, indem sie die Untertitel oder Untertitel vor ihren Augen lesen. Das Unternehmen XRAI Glass hat diese Brille entwickelt, indem es eine normale Augmented-Reality-Brille (AR) mit einer KI-gesteuerten Smartphone-App kombiniert hat.

Ava ist eine App für das Smartphone. Sie gibt gesprochene Sprache nahezu in Echtzeit schriftlich als Text über das Smartphone oder auf dem Computer wieder. Auf diese Weise können beispielsweise hörgeschädigte Personen einen Vortrag oder ein Gespräch mitverfolgen und direkt daran teilhaben.

Zudem entsteht eine schriftliche Gesprächsaufzeichnung, bei der die unterschiedlichen Gesprächsteilnehmer farblich markiert werden. Zusätzlich können auch einzelne Wörter markiert und Korrekturen vorgenommen werden. Die so entstandenen Protokolle, auch Transkripte genannt, können gespeichert werden.

Barrierefreiheit im Netz – Vorsicht bei Overlaytools bei Webseiten

Barrierefreiheit spielt auch im Netz eine große Rolle. Die moderne Arbeitswelt kommt selten ohne den Einsatz von Webseiten aus. Vor einigen Jahren spielten für die Barrierefreiheit sehbeeinträchtigter Menschen waren Overlaytools eine große Hilfe. Mittlerweile haben aber Browser wie u.a. Firefox viele Möglichkeiten zu individueller Einstellung, sodass von diesen Tools eher abzuraten ist. Grundlage ist jedoch immer der Aufbau einer Barrierefreien Grundstruktur. Ist diese nicht gegeben, helfen auch Tools nur bedingt weiter. Eine kompakte Übersicht zu den Einstellungsmöglichkeiten von Firefox finden sie hier.

Auch der Einsatz von Screenreadern ist möglich.  „Ein Screenreader ist eine Software, die Blinden und Sehbehinderten eine alternative Benutzerschnittstelle anstelle des Textmodus oder anstelle einer grafischen Benutzeroberfläche bietet. Ein Screenreader vermittelt die Informationen, die gewöhnlich auf dem Bildschirm ausgegeben werden, mithilfe nicht-visueller Ausgabegeräte. Die Bedienelemente und Texte werden dabei mittels Sprachsynthese akustisch zumeist über eine Soundkarte oder taktil über eine Braillezeile wiedergegeben.“ (Dieser Text wurde aus Wikipedia unter der Lizenz CC BY-SA 4.0 Deed Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International übernommen.

Exoskelette

Exoskelette sind mechanische Gerüste, die eng am Körper getragen werden, um den Körper wie eine Art Stützkorsett zu unterstützen oder ihm aktiv bei der auszuführenden Bewegung zu assistieren. Sie sind eine Art Roboter zum Anziehen und funktionieren wie Prothesen. Sie sind berührungssensibel und individuell programmierbar und können auch als Assistenzsysteme für Menschen mit körperlichen Behinderungen eingesetzt werden. Genutzt werden Exoskelette schon heute in unterschiedlichen Bereichen der Industrie und beim Heben und Tragen in der Pflege.

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Mit der App AirCrumb zu Struktur beim Lernen und im Alltag

AirCrumb wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die App hilft Teilnehmenden mit einer psychischen Erkrankung u.a. dabei, ihren Alltag besser zu strukturieren, einen Überblick über die täglich anstehenden Aufgaben zu bekommen sowie die tägliche Motivation aufrecht zu erhalten und trägt so zur psychischen Stabilisierung der Teilnehmenden bei.

Fachkräfte pflegen die Inhalte der App ein und bleiben im engen Austausch mit den Teilnehmenden. In der App können eine Reihe von Inhalten hinterlegt werden. Bspw. Kalender und Stunden- bzw. Ausbildungspläne, wichtige Termine wie Therapien oder auch Fragen, die die App automatisiert zu bestimmten Zeitpunkten des Tages stellt. Die App dient somit als technisches Verbindungsstück zwischen Fachkräften und Teilnehmenden.  Zusätzlich wird das Lernen im Alltag durch die App mit einem integrierten „Microlearning“ gefördert, Es können fachliche Inhalte in die App eingepflegt werden. Auf diese Weise bietet die App eine Lernunterstützung für die Teilnehmenden und kann dabei helfen, Lernstrategien zu entwickeln sowie die Fokussierung auf die wesentlichen Inhalte zu ermöglichen und Ausbildungsinhalte zu vertiefen.

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Fazit

Mittels unterschiedlicher technischer Unterstützung ist es bereits heute möglich, dass Beeinträchtigungen in der Arbeitswelt reduziert und zum Teil ausgeglichen werden können. Dies sorgt für mehr Gleichheit und Teilhabe. Wie bei allen Technologien bedarf es auch hier hoher Datenschutzstandards und einer strengen ethischen Begleitung. Andernfalls können diese Produkte auch missbräuchlich und stark überwachend genutzt werden. Dies gilt es unter allen Umständen zu vermeiden. Positiv bei dem Einsatz von KI ist der höchst individuelle Einsatz. So können Lernerfahrungen sehr intelligent auf das eigene Niveau angepasst werden.

Aktuelle Fachbeiträge und Quellen

Lippa, B. (2022). Inklusive Arbeitswelt mit Künstlicher Intelligenz. Impulse aus der projektbegleitenden Arbeitsgruppe. Ergebnisbericht des Projekts KI.ASSIST. Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke e. V.

Lippa, B. & Stock, J. (2022). Selbstbestimmte Teilhabe am Arbeitsleben durch KI-gestützte Assistenztechnologien? Überlegungen und Erfahrungen aus dem Projekt KI.ASSIST. Ergebnisbericht des Projekts KI.ASSIST. Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke e. V.

Steil, J. J., Bullinger Hoffmann, A., André, E. et al.: Mit KI zu mehr Teilhabe in der Arbeitswelt. Potenziale, Einsatzmöglichkeiten und Herausforderungen. Whitepaper aus der Plattform Lernende Systeme, München. https://doi.org/10.48669/pls_2023-4

Vorhaben: EmpaT – Empathische Trainingsbegleiter, Teilvorhaben: Überprüfung des psychologischen Realismus und der Effekte auf Bewerbende : Schlussbericht – Teilvorhaben  : Bewilligungszeitraum: 1. April 2014 – 30. März 2018 https://doi.org/10.2314/GBV:1066599009

Arbeitsschutzgerechter Einsatz von Datenbrillen − FAQs, Checklisten (PDF der DGUV)

https://www.ki-assist.de/
https://toolbox.teilhabe4punkt0.de/

Digitales Sozialwesen – Eine Einleitung

Auch das Sozialwesen sollte sich mit den Perspektiven, Notwendigkeiten und auch Risiken der Digitalisierung stellen. So breit wie das Handlungsfeld der Arbeit ist, so vielfältig erscheinen auch die Einsatzmöglichkeiten.

Kennzeichnend für das Sozialwesen ist die Arbeit mit dem Menschen, sei es in der Beratung, Betreuung oder akuten Hilfestellung. Damit einher geht häufig das Erfassen von Daten.

Somit ist auch die Arbeit im Sozialwesen häufig auch eine Form der Datenverarbeitung. Aktuelle Programme unterstützen die Fachkräfte bei der Erfassung und Verknüpfung von Daten. Diese Daten aber zielführend zusammenzufassen scheitert in vielen Bereichen noch.

Die Anforderungen an die Dokumentation schreiten schnell voran. Maßgebend für das SGB IX ist hierbei der ICF. Im gesamten Bundesgebiet erfolgt die Teilhabeplanung anhand dieses Konzeptes. Sowohl Bedarfsermittlung, Prozessgestaltung als auch Berichtswesen haben sich an diesem Modell zu orientieren.

Gleichzeitig kann künstliche Intelligenz einen wichtigen Beitrag zum Abbau von Teilhabebarrieren leisten. Neben augmented reality ist der Einsatz von unterschiedlichen Tools wie bspw. ChatGPT denkbar und zum Teil schon Realität.

In diesem Blog will ich die unterschiedlichsten Projekte beleuchten und dabei einen umfassenden Überblick über diesen dynamischen Entwicklungsprozess geben. Um Digitalisierung und KI begreifbar zu machen, werden allgemeine Information zur KI bereitgestellt und unterschiedlichste Einsatzfelder beleuchtet.

Der Blog richtet sich dabei nicht zur an Fachkräfte im Sozialwesen, sondern auch an Menschen, die auf unterschiedlichen Ebenen in ihrer Teilhabe beeinträchtigt sind oder Behinderung erleben.

Bleiben Sie gespannt.